Licht
In der Polarnacht sei es stockdunkel, glauben viele. Denn nicht umsonst nennt man diese Zeitspanne, in der die Sonne nicht mehr über den Horizont steigt, schließlich “Polarnacht”. Falsch: Nordskandinavien verwöhnt mit wesentlich mehr Licht als Deutschland.
Auf der Höhe von Tromsø – gut 300 Kilometer nördlich des Polarkreises – steigt die Sonne etwa Anfang November nicht mehr über den Horizont und kommt erst Mitte Januar wieder zurück. Während dieser Zeit, die die Norweger als “mørketid” (Dunkelzeit) bezeichnen, beleuchten sie ihre Häuser und oft auch die Gärten wie einen Weihnachtsbaum. Da elektrischer Strom billig ist, schaltet man alle verfügbaren Lampen an und lässt diese auch bei Abwesenheit gern brennen.
Doch auch ohne dieses Kunstlicht wird es selbst in der dunkelsten Zeit, also um den 21. Dezember herum, tagsüber mindestens so hell wie bei uns in Deutschland. Diese Tageslicht-Spanne reicht zwar nur von halb zehn Uhr morgens bis halb zwei Uhr nachmittags, doch dafür wirken sowohl Tage wie Nächte sehr viel heller als unsere trüben Wintertage.
Ich könnte nie im Süden in Stockholm leben. Da ist es so dunkel!
Zum einen liegt dies am Schnee, der jedes bisschen Restlicht mit erstaunlicher Kraft reflektiert. Und zum anderen bleibt es im Norden wegen des flachen Einfallswinkels der Sonne auch nach dem Sonnenuntergang noch sehr lange hell. Das zeigt ein Vergleich mit der Wüste: Dort ist es abends und nachts sehr viel dunkler, denn die Sonne geht hier um 18 Uhr abrupt unter. Fast von einem Moment zum anderen steht man in einer tiefschwarzen Nacht, während die nordischen Abende eher unseren bewölkten Nachmittagen gleichen.
Helles Mondlicht
Hinzu kommt, dass der Norden normalerweise nie so lange indifferent-bewölkte Grauperioden erlebt wie Deutschland. Wenn sich dort oben der Himmel zuzieht, wird es zwar oft richtig dunkel, wie beim Weltuntergang. Doch das dauert nie lang, und meist fetzen die Wolken wieder schnell über den Himmel hinweg und lassen der Sonne genügend Platz.
Sogar das Mondlicht erschien mir viel heller als etwa in den verschneiten Alpen, so dass ich des öfteren auch in der Polarnacht Nachtwanderungen unternahm. Oder wie es ein Schwede in Jäkkvik am Polarkreis treffend ausdrückte: “Ich könnte nie im Süden in Stockholm leben. Da ist es so dunkel!”
Er erzählte mir auch, dass die Samen zwölf verschiedene Namen für Nordlichter kennen. In der Tat zeigen sich diese einzigartigen Farb- und Licht-Schauspiele in so mannigfaltiger Weise, dass ein Wort allein dafür nicht ausreicht. Das Nordlicht kann man schon im September beobachten, und es taucht bis zum März immer wieder bei klarem Himmel auf, doch die intensivsten “Nordlys”-Spektakel erlebt man meist im Dezember und Januar.
Zwölf Namen für Nordlichter
Meist grün, doch manchmal auch rot oder lila ziehen weich auslaufende Licht-Schlieren mit teils erstaunlicher Geschwindigkeit über den Nordhimmel. Oft sind es auch Lichtbögen, die im Halbkreis den Nordpol überspannen und dann in feine Fäden zerfließen. Gerade die unvorhersehbaren und stets neuen Gestalten, Formen und Farben sind es, mit denen die Nordlichter in ihren Bann ziehen.
Da die Belichtungs-Automatik der Fotoapparate angesichts der Nordlichter überfordert ist, hier ein Tip für Fotografen: Belichtungszeiten zwischen 20 und 30 Sekunden bei ganz geöffneter Blende bringen die besten Resultate. In der sonnenlosen Dunkelzeit misslingen dagegen trotz der Tageshelligkeit fast alle Fotos. Auch berechnete die Belichtungs-Automatik der Kameras die Lichtmenge der flauen und konturlosen Tagesfarben falsch und bescherte während der mørketid-Periode im wahrsten Sinne des Wortes “Nacht-Aufnahmen”. Von der Polarnacht einmal abgesehen, sind Filme mit 400 Asa im Norden weder angebracht noch nötig. Das Licht reicht fast immer für 100 Asa oder sogar noch weniger aus.
Skitouren bei Mitternachtssonne
Etwa ab Mitte März bis Anfang September kehrt sich das Verhältnis von Tag und Nacht völlig um. Bei Skitouren im Mai sind auch die Nächte taghell, und im Juni scheint die Sonne sogar die ganze Nacht. Jetzt kommen die dicken Stoff-Vorhänge in den Berg-Hütten zum Einsatz, ohne die man wohl überhaupt keinen Schlaf mehr finden könnte. Beim Wandern ist man nun nicht mehr an Tageszeiten gebunden, sondern kann je nach Lust und Laune laufen. Das Nachtwandern bietet sogar Vorteile: Die Schmelzwasser-Flüsse führen in der Nachtkälte weniger Wasser, und die Mücken sind (zumindest in der zweiten Nachthälfte ab zwei Uhr) wegen der Kälte weniger aktiv als in den Nachmittags- und Abendstunden.
Obwohl diese ständige Helligkeit für die Mehrzahl der Touristen wohl ein entscheidender Grund für einen Skandinavien-Urlaub zur Sommerzeit sein dürfte, kann sie sehr irritieren. Denn der eigene Rhythmus kann sich nicht mehr dem natürlichen Tages- und Nachtwechsel anpassen, sondern muss seinen eigenen Takt finden. Es dauert manchmal eine gewisse Zeit, bis er wieder ein natürliches Maß gefunden hat. Andererseits macht dieses Verschwinden der Nacht auch süchtig: Wie im Rausch versucht man, soviel wie möglich wärmende Sonne und Licht zu erhaschen, ganz nach dem Motto: Schlafen kann ich im nächsten Monat auch noch.
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